„Streß? Kenne ich nicht mehr!“

Wie frisch operierte Herz-Patienten in Berlins größter ambulanter Rehabilitations-Tagesklinik einen gesunden Lebensstil lernen

Von Ingomar Schwelz

Mit Argusaugen beobachtet Werner Persink die aufleuchtende Zahl auf dem Anzeiger des Fahrradergometers. Das Herz des gestressten Berliner Top-Managers schlägt im richtigen Takt. Das Ausdauertraining ist Balsam für sein Herz und die Seele. „Kaum zu glauben, wie schnell ich wieder ins Leben zurückgefunden habe“, sagt Persink.

 Erst wenige Wochen zuvor war der 53jährige nach einem Herzinfarkt operiert worden. Jetzt ist da das Begreifen, welch kostbares Geschenk das Leben ist – und auch der Wille, Risikofaktoren auf dem weiteren Weg zu minimieren. Im „herzhaus“, Berlins größter ambulanter kardiologischer Rehabilitations-Tagesklinik, erlernen Patienten wie Werner Persink eine individuelle Gesundheitskultur gegen den vorzeitigen Herztod aufzubauen.

Dieser ist hierzulande längst zu einer Epidemie ausgeartet: Fast jeder zweite Bundesbürger stirbt inzwischen an einem Herzinfarkt, Schlaganfall oder einer anderen Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Auf das Jahr gerechnet entspricht das beispielsweise der Einwohnerzahl von großen Städten wie Kiel oder Braunschweig. Die Lebenspumpe ist ins Stocken geraten und die Gründe dafür liegen auf der Hand. Negatives, herzverengendes Stresserleben in Familie und Beruf, der immense Konsum der Frustbekämpfer Alkohol und Nikotin, Bewegungsmangel und Fehlernährung bereiten der Wohlstandsgesellschaft schweren Herzschmerz.

Schulung statt reiner Schonung lautet deshalb in der ganzheitlich orientierten Lebensschule des „herzhauses“ denn auch das Motto für ein neues Gesundheitsbewusstsein. „Das hier ist keine Insel der Glückseligkeit, auf der man sich gemütlich hinstrecken kann“, eröffnet Chefarzt Dr. Bernd Lorenz seinen Patienten bevor er einen dichten, individuell auf jeden einzelnen zugeschnittenen Therapieplan entwickelt. Ein interdisziplinäres Team aus Kardiologen, Sozialmedizinern, Psychologen, Sport- und Physiotherapeuten, Sozialarbeitern sowie Ernährungsberatern hilft den Patienten aus den verkrusteten Lebensstrukturen herauszufinden. In nicht einmal drei Wochen soll aus der Sinn- und Lebenskrise nach einem Infarkt ein positiver Neubeginn entstehen. „Ein Weg, den man dann sprichwörtlich mit ganzem Herzen gehen kann“, sagt Lorenz.

Dazu bedarf es freilich einer aktiven Eigenverantwortung, die den Patienten schließlich in die Lage versetzen soll, ein selbstbestimmtes Leben zu entwickeln. Er soll spüren, dass das Leben nach dem „Schuß vor den Bug“ nicht zu Ende ist und dass er es selbst in der Hand hat, ein normales biologisches Alter zu erreichen. „Ich habe gelernt“, sagt Werner Persink wie viele seiner Mitbetroffenen, „mit der Krankheit zu leben.“

Kaum einer stellt die Fragen laut, doch sie liegen wie schwere Gewitterwolken in den Räumen der Rehabilitations-Tagesklinik. „Wie konnte das passieren – warum gerade ich?“ oder „Was muß ich tun, damit das nicht wieder geschieht?“ - solche Gedanken kreisen in den Köpfen derjenigen, die einen Herzinfarkt erlitten haben. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel, so scheint es ihnen, ist die Lebensbedrohung in ihr Leben getreten. Doch die meisten ahnen bald, warum ihr Herz gestreikt hat.

 

Obwohl das bundesdeutsche Gesundheitswesen nach wie vor die passive Rolle des Patienten mit der Reparaturmentalität „ich bin krank, mir muß geholfen werden“ bevorzugt, scheint der Ansatz der Reha-Tagesklinik von mehr Hilfe zur Selbsthilfe zu greifen. Weil die Erfolge groß sind, schicken immer mehr Ärzte und Krankenkassen frisch operierte herzkranke Patienten in die ambulante Gesundheitsschule. „Notwendige Änderungen des Lebensstils wie Sport-, Ernährungs- und Entspannungsprogramme sind unter Alltagsbedingungen leichter umzusetzen“, meint Chefarzt Dr.Lorenz.

 Das ganztägige Training zeigt im Gegensatz zum stationären Klinikaufenthalt beispielsweise auch viel deutlicher auf, ob der Patient nach der Reha wieder die Leistungsfähigkeit besitzt, in das Berufsleben zurückzukehren. Hinzu kommen bei einem ambulanten Aufenthalt das heilsame Gefühl der Geborgenheit in der Familie und die Nähe zum Hausarzt.

Auf 14 Fahrrad-Ergometern strampeln Herzkranke vom jungen Busfahrer über die gestressten Lehrerin mittleren Alters bis hin zum pensionierten Richter im Halbstundentakt einträchtig für ihre körperliche Fitness – angeleitet und überwacht von Therapeuten. Große Computerbildschirme zeigen kontinuierlich die gezackten Kurven das Elektrokardiogrammes (EKG) an und auch der Blutdruck wird regelmäßig automatisch gemessen. Die Trainingsherzfrequenz ist entsprechend den Untersuchungsergebnissen individuell vorgegeben.

Auch viele andere gesundheitsbewußte Menschen wie der weltweit umjubelte Berliner Kammersänger Jochen Kowalski nutzen inzwischen das effektive Spezialtraining. „Für mich ist es ideal – unter Aufsicht von erfahrenen Therapeuten mache etwas für meine Prävention. Die anstrengenden Reisen um den Globus und die vielen Bühnenauftritten verlangen eine strenge, regelmäßige Kontrolle meiner Fitness“, sagt Kowalski. „Gesund älter werden“ lautet das Motto des Mannes mit der einzigartigen männlichen Alt-Stimme.

Durch das Herz-Kreislauftraining in der richtigen „Reisegeschwindigkeit“ können sich kleine Gefäße bilden, die den Herzmuskel besser mit Blut und damit auch mit Sauerstoff versorgen. Selbst dort wo eine Vernarbung durch einen Infarkt entstanden ist, kann der Herzmuskel so wieder geschmeidiger werden.

„Das Risiko einen weiteren Infarkt zu bekommen, läßt sich mit gezieltem Ausdauersport deutlich senken. Beim Training geht einem so im wahrsten Sinne wieder das Herz auf“, meint Dr.Lorenz. Durch eine nach rund 20 Minuten einsetzende Ausschüttung von „Glückshormonen“ entsteht automatisch auch ein Gefühl von Lebensfreude. Da Stresshormone wie Adrenalin und Noradrenalin bei Sportlern langsamer und in geringerem Masse ausgeschüttet werden, hilft Ausdauertraining zudem bei der Stressreduktion.

„Stress? Kenne ich nicht mehr“, sagt eine frühere Top-Managerin gleich darauf bei der Tiefenmuskelentspannung mit einem feinen Lächeln. Sie war in ihrer Firma jahrelang gemobbt worden, bis sie schließlich einen Hinterwandinfarkt bekam. Das Schicksal der Mitt-Vierzigerin kann exemplarisch stehen für die verheerenden Auswirkungen von Dauerstreß. Dabei werden die im Gehirn gebildeten Botenstoffe wie beispielsweise Serotonin, die den Körper in eine hohe Leistungsfähigkeit versetzen, nicht mehr abgebaut.

„Es ist so, als ob ständig verdünnte Salzsäure durch die Blutbahnen fliessen würde“, sagt die Diplompsychologin Ira Jakubzyk. In der Folge kann dadurch die empfindsame Aderninnenhaut der Herzkranzgefäße verletzt werden. Es kommt zu einer Entzündungsreaktion, die schließlich zu einer schleichenden Verstopfung der Arterien durch sich anlagerndes Blutfett führt.

Bei der Entspannungstherapie lernt die Managerin mit gezielter gedanklicher Wahrnehmung und Aufmerksamkeit durch die Hauptmuskelgruppen des Körpers zu wandern. Nach rund 20 Übungseinheiten stellt sie die Entspannungsreaktion von Kopf bis Fuß beinahe schon wie auf Knopfdruck her. Der Atem wird ruhiger und der früher viel zu hohe Blutdruck sinkt schnell. „Ob ich mich gestresst fühle oder nicht“, sagt die Frau, „hängt letztlich davon ab, wie ich auf äußere Stress-Situationen reagiere. Es liegt alles an meiner eigenen Haltung zu den Dingen.“

Mit dieser Einsicht kehrt auch Top-Manager Werner Persink wieder an seinen Arbeitsplatz zurück. Und er sagt: „Ich spüre die Lebensenergie wieder durch mich fließen“.

 

Kontakt zum Autor: office@agentur-ruf.de

 

Information: herzhaus, Reha-Tagesklinik, Axel-Springer-Straße 42, 10969 Berlin, 030-2594960, www.herzhausberlin.de